Kategorie: Orgel / Sacred Music
Sätze: I: In principio
II: Zeit der Sterne
III: Zeit des Menschen
IV: Finale: Amen
Dauer: 24
Notenausgabe: schott Music GmbH Mainz , ED 20668 , 2009
Besetzung: Orgel mit möglichst 4 Manualen
Soloinstrumente: Orgel
Vorwort: In der "Ewigkeit" als einer unfassbaren Zeitdimension tritt uns Gott vielleicht am überwältigsten gegenüber: das Unendliche, die Endlosigkeit wie das Moment des Immerwährenden sind in diesem schillernden aber in Theologie, Philosophie, Logik und Mathematik zentralen Begriff enthalten. "Ewigkeit" als etwas, das keinen zeitlichen Anfang und kein zeitliches Ende besitzt, existiert sozusagen als bloßes Sein, als Schöpfung weit über dem Menschen, dessen Merkmal die Endlichkeit und das Gefesseltsein durch das Zeitliche ist.
Den Mystikern aller Religionen erschien der intensiv erlebte Augenblick, das völlige Aufgehen in der Gegenwart (ohne Aspektierung des Vergangenen oder der Zukunft) als einzige Möglichkeit, die "Ewigkeit" als das zeitlos Immerwährende (Platon: das Sein als zeitlose Seinsform aller Ideen, frei von allem Werden) zu erfahren. So dichtete Andreas Gryphius (1616-1664): Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen. / Mein sind die Jahre nicht, die etwa mögen kommen. / Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in Acht, /
So ist der mein, der Zeit und Ewigkeit gemacht. Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) schrieb über die Natur: Alles ist immer dar in ihr. Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht. Gegenwart ist ihr Ewigkeit. Angelus Silesius (1624-1677) notierte in "Das große Buch der Mystiker": Solange dir, mein Freund, im Sinn liegt Ort und Zeit, / so fasst du nicht, was Gott ist und die Ewigkeit. Der moderne Philosph Ludwig Wittgenstein (1989-1951) schrieb in seinem "tractatus logicus-philosophicus": Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt.
Eine wichtige Auffassung von "Ewigkeit" stammt von dem großen Kirchenvater Augustinus (354-430): Ihm war die Ewigkeit das Vollkommene, das Göttliche, ihr setzte er das dem Menschen zugeordnete negative Gegenstück Zeit entgegen: In der Ausrichtung auf Gottes Ewigkeit muss die Zerissenheit des menschlichen Daseins in der Zeit überwunden werden. Augustinus erkannte die Dreiteilung der zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, das wirklich "Gegenwärtige" erkannte er aber nur der Ewigkeit zu, wo alle Zeitstufen stehen bleiben und frei von jeglicher Sukzession die große Gegenwart von Gottes Ewigkeit sich zeitlos ereignet. Gott ist immer derselbe. Seine Jahre kommen und gehen nicht.
Für Augustinus sind deshalb Zeit und Ewigkeit nicht vergleichbar. Im Unterschied zur Ewigkeit denkt Augustinus die Zeit mit Anfang und Ende: Am Anfang ist die Schöpfung, wie in der Genesis der Bibel beschrieben; am Ende ist das Weltgericht des jüngsten Tages wie in der Apokalypse beschrieben. Im Gegensatz dazu ist die Ewigkeit ihm keine endliche Folge. Ewigkeit ist zeitlos, weder endlos noch endlich. Den Eintritt des Menschen in die Ewigkeit, in die vollkommene Zeitlosigkeit bezeichnet Augustinus als Eintritt in die Seligkeit als wahres Ziel und wahre Bestimmung.
Zur Musik der VII: Sinfonie:
Das stete Gleichbleiben zeichnet nach Augustinus die Dinge aus, die an Gottes Ewigkeit teilhaben. Eine musikalische Stilistik, die solcher Forderung nahe kommt, ist die minimal music, wie sie seit etwa 1960 von USA ausgehend (und stark von asiatischen und afrikanischen Einflüssen mitgeprägt) bekannt wurde: mit ihren minimalen prozesshaft-organischen Veränderungen wirkt sie zeitlos, ihre kontinuierliche Bewegung scheint statisch und unendlich. Im Einzelnen findet man Überlagerungen von Zyklen und Perioden, Additions- und Subtraktionsprozesse, metrische Umdeutungen und Mehrschichtigkeiten, Spielen mit Zeitmustern, proportionales Umdeuten des Grundpulses. Diese Stilmittel verbunden mit der Tradition europäischer Orgelkomposition stellen die musikalische Basis der 7. Orgelsinfonie "Von Ewigkeit zu Ewigkeit" dar.
Satz 1: IN PRINCIPIO soll mit seinen wuchtigen Schlägen in Basslage an die Uranfänge erinnern, aus denen dann erste kontinuierliche (aber gleich auch komplexe rätselhaft verschlüsselte) Bewegung entstand. Im Oberstimmenchor wird litaneiartig das liturgische "Ewiges Leben schenke ihnen, o Herr" gespielt.
Motto: "Wer in der Zeit sein Herz auf Ewigkeit gestellt hat, und in wem alle zeitlichen Dinge tot sind, da ist Vollendung der Zeit", Meister Eckhart (1260-1328)
Satz 2: ZEIT DER STERNE versucht in Überlagerungen von entfernt auseinanderliegenden periodischen Abläufen etwas von dem statischen Kreisen der Gestirne zu vermitteln: in höchsten Diskant- und in tiefsten Basslagen zirkulieren musikalische Muster in verschiedenen Metren; kaum wahrnehmbare Wiederholungen und prozesshafte Veränderungen des musikalischen Materials schaffen ein Klima des Wundersamen, dem man staunend entgegentreten kann.
Motto: "Und da wurde mir durch Erleuchtung klar, dass man über das Ewige nicht von der Zeit her nachdenken darf, sondern vom Zustand her und dass dann verstanden wird, was "von Ewigkeit zu Ewigkeit" bedeutet", Emanuel Swedenborg (1688-1772)
Satz 3: ZEIT DES MENSCHEN basiert auf der endlichen und fasslichen Rhythmik eines Walzers, der aber immer wieder metrisch uminterpretiert wird und ? wie ein zeitliches Vexierspiel - ins Rätselhafte kippt.
Motto: "Jeder Jäger wird einmal Hase, früher oder später, denn die Ewigkeit ist lang", Wilhelm Busch (1832-1908)
Satz 4: FINALE: AMEN ist von dreiteiliger Form: Zunächst steht eine glockenartig wiederholte Harmoniefolge wie in den klassischen "Amen"-Kompositionen der Musikgeschichte, dem folgt eine ins Unendliche gedehnte Kanonversion der zugrunde liegenden Tonfolgen. Den Beschluß bildet eine ins Toccatische gewendete virtuose Interpretation der glockenartigen Harmoniefolge des Beginns.
Motto: "Erkennt man das Ewige nicht, so kommt man in Wirrnis und Sünde. / Erkennt man das Ewige, so wird man duldsam", Laotse (im 6. Jh. V. Chr.) ?Tao te king?
Anmerkungen zur Interpretation:
Satz 2: ZEIT DER STERNE ist der fremdartigste der Sätze. Zum einen werden Töne mit einem Bleistift arretiert, so dass statische Klänge entstehen. Zum anderen gibt es einen komplexen Kreislauf von Perioden: ach festen Prozessen (von Imitation, Additions- und Subtraktionsprozessen bis zu "color-talea"-Verschiebungen) laufen bestimmte Elemente wie ein Räderwerk innerhalb einer definierten Struktur ab... so wie uns der Sternenhimmel erscheint. Jedes wiederkehrende Element soll eine möglichst prägnante Registrierung (je nach Orgeltyp und Größe) erhaltten. Diese Registermischungen sollen ungewohnt, aber stets leise und magisch (nicht grell und abstoßend) sein. Um sie dem Spieler prägnant zu machen, wurde jede Registermischung mit einem "Sternnamen" benannt.
Zur Erläuterung der Sternnamen:
1: ENIF (520 Lichtjahre entfernt, 4500 mal heller als die Sonne) ist eine wiederkehrende helle Ritornellfarbe auf dem Positiv, z.B. 16' + 1'
2: ALFECCA (trotz der geringen Helligkeit der hellste Stern der südlichen Krone, einem damit äußerst unscheinbaren Sternbild) ist ein extrem leiser 8' auf dem IV. Manual (Fernwerk), dessen Töne mit Bleistift arretiert werden und dann leise schimmernd im Raum verbleiben
3: SIRIUS (obwohl nur 26 mal heller als die Sonne, ist er wegen seiner Nähe der hellste Stern des Himmel, und spielte als "Sothis" eine wichtige Rolle in der ägyptischen Zeitrechnung) ist eine Mischung aus 4' und Aliquoten, glitzernd im Schwellwerk, funkelt im p auf und verglimmt ins pp (mit Schweller).
4: ANTARES (600 Lichtjahre entfernt, scheint mit stark rötlichem Licht, 7500-mal heller als die Sonne) ist ein Streicherregister, evtl. mit sehr leiser Zunge 8' auf dem Hauptwerk.
5: MIZAR (mittlerer Deichselstern des großen Wagens, ein aus zwei spektroskopischen Doppelsternen bestehender Doppelstern) ist das aus 8'+16'+32' bestehende dunkle Pedalregister des Anfangs- und Schlussteiles.
6: ALBIREO (einer der am schönsten gefärbten Doppelsterne mit einer gelben und einer blauen Komponente) ist die Registermischung des Hauptwerks im Mittelteil zur Darstellung der color-Melodiefolge: leise Zunge 8' mit Aliquot und Tremulant.
7: ALDEBARAN (68 Lichtjahre entfernt, steht inmitten der Hyaden, ist mit diesen aber nicht verbunden, Teil des Wintersechsecks) ist im Mittelteil des Satzes eine Pulsfolge in Achteln, deren Folge durch Pausen zunehmend getrennt wird, Zunge 16# möglichst leise und staccatissimo zu spielen.
Widmung: Kunibert Schäfer in Dankbarkeit gewidmet
Uraufführung: 10.11.2009, Stiftsbasilika Waldsassen
Uraufführung Interpreten: Professor Kunibert Schäfer/ Musikhochschule Regensburg