Kategorie: Orgel / Sacred Music
Die III. Orgelsinfonie ist in ihrem Gestus zutiefst "romantisch": der Nachtseite des Lebens zugewandt, zerrissen und von Extremen durchsetzt. Die Anregung dazu stammte von Bernhard Buttmann, der mich wiederholt auf Gustav Mahler (1860-1911) als den exponierten Vertreter solch disparater Inhaltlichkeit verwies. So entstand die kompositorische Idee, sich die Satzbezeichnungen von Mahlers V. Sinfonie anzueignen und davon ausgehend etwas - beim Komponieren noch ungeplant und unbekannt - Neues entstehen zu lassen. Die Anfangszeilen der lateinischen Sequenz "Dies irae" ("Tag des Zorns"), die im 14. Jahrhundert in die Totenmesse eingefügt wurde, zieht sich als verborgener Leitfaden durch alle Sätze hindurch.
Satz 3: Totentanz. Scherzo Macabre bezieht sich auf eine Radierung von Otto Dix
(1891-1969) "Totentanz anno 17" aus seinem Zyklus "Der Krieg" von 1924.
Sätze: Satz 1: Stürmisch bewegt, mit größter Vehemenz
Satz 2: Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng
Satz 3: Totentanz. Scherzo Macabre
Satz 4: Adagietto. Sehr langsam
Dauer: 35 Minuten
Notenausgabe: Schott Music , ED 20318 , 2007
Besetzung: Orgel solo
Vorwort: Die III. Orgelsinfonie ist in ihrem Gestus zutiefst "romantisch": von hohem idealen Anspruch, der Nachtseite des Lebens zugewandt, gleichermaßen nostalgisch wie von konventionensprengender Modernität, zerrissen und von Extremen durchsetzt. Die Anregung dazu stammte von Bernhard Buttmann, der mich wiederholt auf Gustav Mahler (1860-1911) als den exponierten Vertreter solch disparater Inhaltlichkeit verwies. So entstand die kompositorische Idee, sich die Satzbezeichnungen von Mahlers V. Sinfonie (mit der er sich nach schwerer Krankheit von den "Wunderhorn"-Erlebniswelt seiner Jugend endgültig löste) anzueignen und davon ausgehend etwas - beim Komponieren noch ungeplant und unbekannt - Neues entstehen zu lassen. Die Anfangszeilen der lateinischen Sequenz "Dies irae" ("Tag des Zorns"), die im 14. Jahrhundert in die Totenmesse eingefügt wurde, zieht sich als verborgener Leitfaden durch alle Sätze hindurch.
Satz 1: Stürmisch bewegt, mit größter Vehemenz ist das verzweifelte Aufbäumen unseres imaginären Protagonisten, ein letztes Ringen des Lebens mit dem Tod. Motivik und Dynamik sind expressiven Kontrasten unterworfen, in den spieltechnischen Anforderungen ist der extreme kämpferische Gestus unmittelbar und physisch nachzuerleben.
Satz 2: Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng bildet mit dem ersten Satz eine innere Einheit, indem dessen Motive wiederaufgenommen und in der klaustrophobischen Gleichförmigkeit des strengen Schreitens festgezurrt werden. Unerbittlichkeit und Endgültigkeit. Das Individuelle wird zu Grabe getragen. Ende des "Romantischen"?
Satz 3: Totentanz. Scherzo Macabre bezieht sich auf eine Radierung von Otto Dix
(1891-1969) "Totentanz anno 17" aus seinem Zyklus "Der Krieg" von 1924. Dieser Satz schließt logisch an das vorausgegangene Zu-Grabe-Tragen des Individuellen an: Es geht um Massensterben, um die Todesmaschinerien des XX. Jahrhunderts, um die Absurdität und grauenhafte Sinnlosigkeit der Kriege und ihrer Menschenopfer. Kaum ein anderer hat dafür eine so eindrückliche (fast an Obszönität grenzende) Visualität gefunden wie Otto Dix, der auch in anderen Werken wie seinem Tryptichon "Der Krieg" in Form mittelalterlicher Altarbilder auf die Analogie zwischen menschlichen Martern und sakralen Kreuzigungsbildern verwies. Scherzo Macabre will keine Versöhnung, sondern reißt Wunden auf: Teufelsmusik.
Satz 4: Adagietto. Sehr langsam versucht Trost und Trauer im Sinne eines ?In Paradisum? zu intonieren. Das gelingt nur fragmentarisch.
Widmung: Bernhard Buttmann herzlichst gewidmet; von ihm stammt die inspirierende Idee eines auf die Empfindungswelt Gustav Mahlers (1860-1911) bezogenen Orgelwerkes
Anmerkungen: Anmerkungen zur Interpretation:
Generell sind vor allem die Tempoangaben genau zu beachten. Es wird von einer viermanualigen Orgel ausgegangen mit Hauptwerk HW, Schwellwerk SW, Positiv POS und Fernwerk IV. Die Komposition ist jedoch leicht für eine dreimanualige Orgel einzurichten.
1.Satz: Trotz allem erwünschten Farbenreichtum dürfen die vier Hauptblöcke (T. 1-47,
T. 69-91, T. 113-133, T. 152-187) nicht auseinanderfallen, sondern müssen durch konstantes Tempo zu massiven Einheiten komprimiert werden. Davon setzen sich dann die Nebensätze mit dem "Dies irae" als ruhigere und flexiblere Teile ab (T. 54-64, T. 96-106, T. 138-145). Diese werden jedoch ihrerseits von "Erinnerungsblitzen" durchsetzt und fortgeführt, die sehr impulsive und rubato zu interpretieren sind.
2. Satz: Das Trauermarsch-Tempo ist - ausser den ausgewiesenen Rubato-Passageen - unerbittlich beizubehalten, vor allem nie eilen. Der Mittelteil ?Plötzlich schneller. Leidenschaftlich.Wild? hebt sich davon durch forciertes Tempo ab, das sich bis zur Reprise
T. 157ff. dann wieder beruhigt.
In mechanischer Starre und ohne jede individuelle Regung muss dann ab T. 133 das Tempo (Viertel = 96) "Im unerbittlichen Gleichmaß" gespielt werden.
3. Satz: Durchweg in dunkler, harter und perkussiver Registrierung zu spielen. Immer aggressiv. Das Grundtempo (mind. Viertel = 144) muss konstant durchgehalten werden. Halsbrecherisch virtuos: Teufelsmusik. Einzige Ausnahme: die Trompeten-Erinnerung und das Fugato im "Grave"-Teil (T. 163-183). In der Coda kann im Sinne einer Streta eine Temposteigerung versucht werden.
4. Satz: Die Introduktion (T.1-18) kann "quasi Cadenza" sehr frei gestaltet werden. Das Adagietto mit dem Zitat einer Trauermelodie aus meiner Filmmusik zu "Stalingrad" dann sehr gleichmäßig und schlicht. Zwei Schlüsse sind möglich:
Zum einen: Bei Aufführung der gesamten Sinfonie ab T. 73 "Subito Vivo" als Wiederanknüpfung an das Scherzo macabre. Virtuos steigern.
Zum anderen: Bei Einzelaufführung des 4. Satzes "Adagietto" ist ab T. 73 in die Coda zu springen: Aushauchen des Satzes im Pianissimo.
Uraufführung: 10.08.2007, St. Sebald/ Nürnberg
Uraufführung Interpreten: KMD Bernhard Buttmann, Orgel
Uraufführung Presseberichte: Nürnberger Nachrichten vom 22.10.2007 'Als Höhepunkt folgte die Uraufführung von Enjott Schneiders III. Orgelsinfonie. Die fortschreitende Bearbeitung eines Motivs mit hohem Wiedererkennungswert findet man auch hier: Zunehmend stürzt die Atmosphäre - angelehnt an die Satzbeteichnungen in Mahlers 5. Sinfonie - ins Klaustrophobische, Makabere, Düstere, Überreizte und Hoffnungsarmee. 'Totentanz' lautet der treffende Titel dieser atmospärisch dicht gestalteten... Orgelsinfonie' (Anja Barckhausen)
aus der CD-Besprechung TOTENTANZ in Mittelbayrische Zeitung vom 18.12.08 IM BANNE DES 'DIES IRAE'
'Auf der Nürnberger Peter-Orgel zaubert Bernhard Buttmann aus der Fülle der 82 Register Klangwelten, wie sie Charles Marie Widor und Louis Vierne in ihren spätromantischen Orgelsinfonien schufen. Schneider knüpft hier bewußt an, bleibt in der musikalischen Haltung romantisch. Gehaltlich sucht und findet er Nähe zu Gustav Mahlers 5. Sinfonie, deren Satzbezeichnungen und Charakter er für die vier Sätze seiner 3. Orgelsinfonie 'Totentanz' übernimmt. Der Totentanz (3. Satz) bezieht seine apokalyptische Bedrohlichkeit aus Otto Dix Radierung 'Totentanz anno 17', in der er schonungslos die Absurdität und grauenhafte Sinnlosigkeit des Krieges darstellt. Das mehr als halbstündige Werk zwingt den Hörer in den Bann der in allen Sätzen immanenten Sequenz 'Dies irae'. Der Komponist dringt im 'Trauermarsch' in irreal anmutende Klangregionen vor, rückt den Finalsatz 'Adagietto' im ersten Teil dicht an den Mahler-Satz, der als Filmmusik zu Viscontis Mann-Adaption 'Tod in Venedig' Berühmtheit erlangte. (Gerhardt Heldt)
CD-Besprechung in MUSIK & KIRCHE Mai/Juni 2009:
Enjott Schneider ist ein musikalischer Hansdampf, ein Meister Rastlos. Sein Werkkatalog ist mit Blick auf verschiedene Genres ebenso vielseitig wie umfangreich. Dass er dabei so gut wie nie ins Seichte, ins Belanglose oder Triviale abdrifted, spricht für seine Qualitäten. Er versteht mit ungewöhnlich leichter Hand auf verschiedenen stlistischen Ebenen zu spielen und formt so, ohne dadurch des Epigonentums verdächtig vzu sein, seinen eigenen Stil...
Schneikders 3. Orgelsinfonie, uraufgeführt im Oktober 2007, trägt den Titel 'Totentanz' und zählt im weiteren Sinne zur Programmusik, wie die knappen Erläuterungen im booklet verraten. Das halbstündige Werk besteht aus vier Sätzen, deren dritter sich auf eine Radierung von Otto Dix bezieht. Bernhard Buttmann - Organist der Uraufführung - findet einen gleichermaßen packenden wie etwa im Mittelteil des zweiten Satzes lyrischen, beinahe entrückten und ins Sphärische wechselnden Zugriff. Schneider ist kein Verächter teils knalliger Effekte - Cluster, knorrige Triller, beißende Chromatik -, die Buttmann geschickt zu einer Einheit formt. Die viermanualige Peter-Orgel (1975) in der Sebalduskirche von Nürnberg bietet hinreichend Möglichkeiten, diese Musik mit der gebotenen Klarheit aufzuführen; hier verwischt nichts, hier schleift nichts, vielmehr erklingt alles mit einer wunderbaren Direktheit, die von den Aufnahmetechnikern auf adäquate Weise eingefangen wurde.... (Christoph Vratz)
Tonträger: ambiente Musikproduktion Best.Nr. ACD 3004, 2008
Tonträger Interpreten: Aufgenommen für CD am 7./8. November 2007 mit Bernhard Buttmann
Tonmeister: Ulrich Kraus
CD: TOTENTANZ, Reihe Enjott Schneider Sacred Music Volume 1