Kategorie:  Oper / Musiktheater

"Fürst Pückler", eine ebenso große wie vergessenen deutschen Leitfigur: faustisch, neugierig, wagemutig, Kosmopolit, europäisch, Reisender, Schriftsteller, introvertierter Hochromantiker mit Todessehnsucht". Mit einer unglaublichen Zahl von Damenbekanntschaften, von denen er (nach seiner Biographin Ludmilla Assing) mehr als Don Juan und Jupiter zusammen hatte. Umwerfend, seine Wahnidee des arbeitsamen Künstlers, seine Verpflichtung vor Gott, ein von frühmorgens bis spätabends tätiges Leben auf Hochtouren zu führen. Diese Seelenverwandtschaft war mir extrem nahe.
Innerhalb weniger Wochen entstand deshalb das Libretto, das genauso präzise recherchiert war, wie das Drehbuch zu einem Dokufilm: die Szenerien sollten möglichst original und wahrheitsgetreu sein (von der Gruftszene am Opernbeginn bis zur anatomischen Zerlegung des Leichnams - Auflösung von Herz und Leichenteilen in konzentrierter Schwefelsäure - am Opernende).
Es ging mir um das emotionale Verlebendigen der Person Pücklers, - als Multinaturell, als Kosmopolit, als faustischen Sucher, als waghalsige Spielernatur und unermüdlichen Arbeiter. Vieles an dieser Person ist unglaublich modern. Etwa Pücklers Seite als erster "Öko"-Denker, wenn er immer wieder die "Überlegenheit des natürlichen Lebens" (das er vor allem in Afrika in Reinform fand) betonte. Ein Leitsatz der Oper ist Pücklers "Wir sehnen uns so sehr nach der Freiheit der Bäume!"

Dauer: 3 Stunden

Notenausgabe: Schott Music GmbH , Leihmaterial , 2006

Besetzung: Sänger:

Heldenbariton: Fürst Pückler (A - e1, evtl. f1)
Dramatischer Sopran: Lucie / "Frau 1, die Mütterliche" (d1 - g2, max. a2)
Lyrischer Sopran: Hermine / "Frau 2, die Kindliche" (e1 - h2)
Mezzosopran: Adelheid / "Frau 3, die Intelektuelle"
(a1 - e2)
Lyrischer Sopran: Machbuba (e1 - g2, sehr schlicht, kindlich naiv)
Tenor: Goethe, dann Oberst Caron, Mehmed Ali/Dr. Liersch (e - a1)
Mann 1 (Tenor): 1. Diener, 1. Landarbeiter, Geheimrat Brenzlow,1.Sklave, Dr. Richter (e - a1)
Mann 2 (Bariton): 2. Diener, 2. Landarbeiter, 2.Sklave, Dr. Malin (B - f1)
Mann 3 (Bassbariton):Küster, 3. Diener, 3. Landarbeiter, Oberst Kurssel, Dr. Freund, Dr. Rabenhorst F-es2
Opernchor (mit gelegentlichen solistischen Einwürfen) Ballett ad libitum
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Orchester:

2 Flöten (2. auch Piccolo)
2 Oboen (2. auch Engl. Horn)
2 Klarinetten in B (2. auch Bassklarinette in B)
2 Fagotte (2. auch Kontrafagott)
4 Hörner in F
3 Posaunen (T-T-B)
Tuba
Harfe
Klavier
2 Schlagzeuger (ohne Pauken und große Stabspiele):
Schlagzeug I: kleine Trommel, kleines und mittleres Becken (hängend), belltree,
Tempelblocks, Metallchimes, Triangel, 2 Sandpapier-Blöcke, Wasserglas (in es, f)
Schlagzeug II: große Trommel, kleines und mittleres Becken hängend, Peitsche,
Glockenspiel, Xylophon, Flexaton, Claves, Schellen-Tambourin (am Ständer),
3 Klangschalen groß (oder Gongs), Wasserglas (in es, f);
ein Tamtam (groß) wird gemeinsam mit Schlagzeug I verwendet.
grosses Streichorchester (mind. 12-10-8-6-4)

Textdichter: Libretto von Bernd Matzkowski, Enjott Schneider, Michael Walter

Vorwort: Enjott Schneider: Aus dem Programmheft zur Uraufführung:
Seit im Februar 2004 (im Kontext meiner Görlitzer Uraufführung der Oper "Bahnwärter Thiel") von Michael Wieler der Impuls kam, mich doch mit "Fürst Pückler" als Opernfigur zu befassen, war ich fasziniert von dieser ebenso großen wie vergessenen deutschen Leitfigur: faustisch, neugierig, wagemutig, Kosmopolit, europäisch, Reisender, Schriftsteller, extravertiert die eben entstehende "Yellow Press" der bürgerlichen Öffentlichkeit beschäftigend, introvertierter Hochromantiker mit Todessehnsucht". Doppelbödige Facetten, deren extremes Auseinanderklaffen Staunen macht. Sich mit Pückler zu identifizieren fiel mir sehr leicht, etwa wenn man (nach dümmlich männlichem Naturell) ihn wegen seiner unglaublichen Zahl von Damenbekanntschaften aller Couleurs bewundert, von denen er (nach dem Bericht seiner Biographin und Freundin Ludmilla Assing) mehr als Don Juan und Jupiter zusammen hatte. Eine weit intensivere Identifikation mit Pückler stellte sich ein, als mir seine Wahnidee des arbeitsamen Künstlers bewusst wurde!. seine Verpflichtung vor Gott, ein von frühmorgens bis spätabends tätiges Leben auf Hochtouren zu führen. Diese Seelenverwandtschaft war so ganz nach meinem Geschmack und animierte mich zum intensiven Studium dieser Persönlichkeit.
Nach Monaten des Bücherstudiums (ich besorgte mir in antiquarischen Ausgaben auch Pücklers Schriften) kam ein konzeptioneller Durchbruch im Herbst 2004 nach einem Besuch der Muskauer und Branitzer Parks zusammen mit Intendant Michael Wieler und dem Librettisten Bernd Matzkowski (der mir schon für die erfolgreiche Schalke 04-Oper
"Nullvier - keiner kommt an Gott vorbei" so sensationell erfrischende Texte schrieb). Innerhalb weniger Wochen entstand das Libretto, das genauso präzise recherchiert war, wie das Drehbuch zu einem Dokufilm: die Szenerien sollten möglichst original und wahrheitsgetreu sein (von der Gruftszene am Opernbeginn, dem fingierten Leichenmahl bis zur anatomischen Zerlegung des Leichnams - Auflösung von Herz und Leichenteilen in konzentrierter Schwefelsäure - am Opernende). Richtlinie war es auch, möglichst wenig Text 2erdichten2 zu müssen, sondern quasi "O-Ton" aus Briefen und Schriftdokumenten Pücklers zu entnehmen. Bernd Matzkowski hatte dann den Freiraum, in seinen Textpassagen ungeniert phantasie- wie humorvoll überhöhen zu können.
Die Opernhandlung etabliert vor allem drei Ebenen:
Erstens: Das emotionale Verlebendigen der Person Pücklers, - als Multinaturell, als Kosmopolit, als faustischen Sucher, als waghalsige Spielernatur und unermüdlichen Arbeiter. Vieles an dieser Person ist unglaublich modern. Etwa Pücklers Seite als erster "Öko"-Denker, wenn er immer wieder die "Überlegenheit des natürlichen Lebens" (das er vor allem in Afrika in Reinform fand) betonte. Ein Leitsatz der Oper - der dann auch im Finale als Hymnus wiederkehrt - ist Pücklers "Wir sehnen uns so sehr nach der Freiheit der Bäume!"
Zweitens: Die Ebene der Gesellschaft als Gegenspieler Pücklers, die vor allem vom dramaturgisch wie musikalisch sehr wichtigen Opernchor repräsentiert wird. Der Chor repräsentiert den Klatsch, den gossip der "Yellow Press", aber auch die ihn verehrende Lausitzer Landbevölkerung (folgerichtig ist auch Volksliedhaftes in sorbischer Sprache in die musikalische Textur verwoben). Das Genialische der Pückler-Figur wird vor der
Mediokrität der Gesellschaft besonders plastisch begreiflich.
Drittens: Die Ebene der "Frauen" durchzieht selbstverständlich die gesamte Handlung. Um nicht mit einem Heer an Sängerinnen das Operensemble zu strapazieren kam mir schon bald die Idee, mit drei Frauenrollen ("Frau 1-3") Pücklers Kosmos des Weiblichen bühnenfähig zu machen. In der Tat lassen sich alle Beziehungen auf drei Frauentypen rückführen. "Frau 1" ist die reife, mütterliche Frau, der Pückler - als nie erwachsenwerdender Peter Pan - ständig erlegen ist; in seiner Ehefrau Lucie hat er ja de facto sein Mutteridol geheiratet (die ihn dann folgerichtig "Lind" nannte). "Frau 2" ist die Kindfrau, das junge mädchenhafte Wesen, dem gegenüber man sich so richtig als "Mann" fühlen und ihr die Welt und das Leben erklären kann; junge Mädchen spielten bei Pückler bis ins hohe Alter - und wenn nur in einem amourösen Briefwechsel - immer eine Rolle. "Frau 3" ist die gleichaltrige intellektuelle Gefährtin, der man sich im geistigen Disput nähert; Bettina von Arnim (die auch schon Freundin Goethes war) ist hier eine typische Frauenfigur als Pücklers Peripherie.
Musikalisch schlüpfen die Sängerinnen "Frau 1-3" (dramatischer Sopran, lyrischer Sopran und Mezzosopran) in viele der Frauenrollen aus Pücklers buntscheckiger Biographie: In Nr.5, dem Quartett "Das Karussell der Liebe" , wird die Rolle der Frauen besonders plastisch dargestellt, wenn sie sich auf dem Karussell um den Helden drehen, er bei jeder "aufspringt" und sie nach dem jeweiligen Beziehungsraster verehrt - um am Schluss von allen abgewiesen zu werden. Eine Ausnahme unter den Frauenfiguren stellt Machbuba dar, jene mignonhafte Mädchen-Geliebte, die er aus Afrika (als Rest seines großen Harems) mitbrachte und die in der zentraleuropäischen Kälte (meteorologisch wie seelisch) förmlich weggestorben ist: Machbuba nimmt mit ihrer Rätselhaftigkeit (sie ist für mich die Verkörperung der männlichen "Anima" im Sinne C.G. Jungs) so viele rührende Emotionen für sich in Anspruch, dass sie mit einer einzelnen Sängerin besetzt werden sollte.
Stilistisch ist die Oper - in Analogie zum Pücklerschen Facettenreichtum - extrem gefächert: Pücklers Leitthema geht auf eine Zwölftonreihe zurück (die Violine ist sein Leitklang), die in den intimsten Momenten zusammen mit einer hochdifferenzierten Instrumentation eine artifizielle Schicht bildet. Daneben gibt es aber auch volksliedhafte Elemente, Hymnisches, Tanzhaftes (vor allem für das integrierte Ballett, das neben dem Chor auch zur Darstellung der "Gesellschaft" benötigt wird. Mehrfach wird der musikalische Klang auch auf Geräusche reduziert, auf ein Kratzen, Knarzen und Schaben, das bei gleichzeitiger Verwendung operettenhafter Rhythmik ("Can Can" und "Polka") musikalische Grotesken zeigt. Die Oper hat viele "Höhepunkte" und Stellen, die mir sehr am Herzen liegen: Etwa die "Schauerromantik" in der einleitenden Gruftszene (Pückler liebte ja den "Freischütz"), die "Yellow Press"-Chorszenen Nr. 3 "Tritsch-Tratsch" oder Nr. 10 "Der tolle Pückler", in denen die Musik zwischen der Klangsprache von Avantgarde und der Schlagfertigkeit der Operette angesiedelt ist. In Nr.12 "Im Inferno der Selbst-Verirrung (Entr'acte symphonique)" oder in Nr. 24 "Fürst Pücklers Tod" dominiert das Vokabular der symphonischen Dichtung. Von extremen Kontrasten ist Nr. 15 "Orientalische Groteske" geprägt, indem der einsamen, briefelesenden Ehefrau Lucie mit einer auf Pücklers 12Tonreihe basierenden höchst artifiziellen Textur die fast persiflierende orientalische Groteske mit nahezu banaler Tonalität entgegengestellt wird. Die Musik wurde von Januar bis Oktober 2005 komponiert, und dann bis Dezember 2005 instrumentiert - und hat neben vielen schlaflosen Nächten auch über 1000 handgeschriebene Partiturseiten und 500 handgeschriebene Klavierauszugseiten gekostet.
Erleben sie nun mit, wie ein gewaltiger musikalischer Spannungsbogen von drei Stunden, der Titanenfigur des "Pückler" gerecht zu werden versucht: Pückler, der kosmopolitische "européan" des 19. Jahrhunderts, der Parkgestalter (von Muskau, Branitz bis Bois de Bologne), der Literat (mit höheren Verkaufszahlen als Heine und Goethe zusammen), der bizarre workaholic und Frauenheld lebte eine Biographie, die förmlich nach der Oper als angemessener Darstellungsform schreit. Diese begleitet ihn auf seiner ewigen Suche nach "der Frau" und "der Natur": in einer für die Opernbühne seltenen Mischung von komödiantischer Groteske und wahrem romantischem Tiefgefühl.

Uraufführung:  04.05.2006, Theater Görlitz

Uraufführung Interpreten: Shin Tanigucchi (Bariton) als Pückler, Yvonne Riech als Lucie, Mi-Seon Kim als Machbuba, Solistenensemble und Chor des Theater Görlitz, Görlitz-Ballett, Neue Lausitzer Philharmonie, Ltg.: Milos Krejci, Regie: Aron Stiehl, Bühnenbild und Kostüme: Karen Hilde Fries

Uraufführung Presseberichte: Opernwelt (Juni 2006): ...schwelgen förmlich zehn Bilder lang in dieser Pücklerschen Lebewelt, die durchaus auch ihre ernsten Seiten besaß, vor allem in Pücklers Liebe für und Sorge um die Natur. Schneider und seine Autoren haben in den Szenen charakteristische Lebenssituationen Pücklers eingefangen. Pückler als 'erster Öko-Denker', Pückler und die gesellschaft, Pückler und die Frauen....Schneiders Musik schillert so vielgestaltig wie die Vorlage eines schillernden Lebens. Zwölfton, Volkslied, Operette, Cancan, Polka, Groteskes, Schauerromantik - der Komponist findet für jede Situation den effektvollen Ton.Ein avantgardistisches Klang-Raum-Theater ist dabei natürlich nicht entstanden, aber eine unterhaltsame Spieloper. Man sollte das nicht geringschätzen. (Gerhard Rohde).

Die Welt (4.5.2006): Schneiders Oper wechselt zwischen volkstümlicher Spieloper und stillem Gelehrtenprortrait, zieht musikalaisch alle register von schrägen Revue-Tönen bis zu leise hingetupften Akzenten. Mal ist die Musik kurzangebunden, dann wieder malt sie breit aus. Die Neue Lausitzer Philharmonie unter Milos Krejci bringt alle Facetten dieser Klängte zum Leuchten...Nach fast drei Stunden Jubel im Görlitzer Theater (Ute Grundmann).

Das Orchester (Juli 2006): Da ...Schneider über ein breites Spektrum spätromantischer bis moderner Klanggestaltung verfügt und treffende Bild- und Szenenakzentuierungen professionell zu bedienen versteht, lag eine interessante Partitur vor, die allerdings durch stilistische Breite und Vielfalt trotz gewisser leitmotivischer Zuordnungen eine künsterlische Einheit nicht so recht zu vermitteln vermochte. Von fast unverfälschter Folklore über atmosphärisch-sensible Milieucharakterisierung bis zu großer Oper (vor allem in zweiten Teil)reichte die filmmusikalische Ausdrucksskala. Die gesangspartieren gaben den Solisten beste Entfaltungsmöglichkeiten, die denn auch der japanische Bariton Shin Tanigucchi bei der umfangreichen Titelpartie überzeugend nutzte. Auch Yvonne Reich als Partnerin Lucie packte mit Gestaltungsintensität ihre Rolle wie vor allem auch die Koreanerin Mi-Seon Kim als abessinische Prinzessin und Geliebte Pücklers aus dem orient. Als gleichsam schwarze 'Mimi mit eiskaltem Händchen' stirbt sie in großer Opernszene, herrlich ausgesungen und mit einer Musik zu Grabe getragen, die an den Trauermarsch der Liù aus Puccinis 'Turandot' erinnerte. Das Orchester der Neuen Lausitzer Philharmonie erwies sich als klangdifferenziert mitgestaltendes Ensemble...auch der Chor nund die bSolisten des Opernensembles waren mit Engagement dabei nund sicherten eine Aufführung, die am Premierenabend Begeisterungsstürme auslöste.(Friedbert Streller)

Rheinischer Merkur (11.5.2006): Schneider versteht Pückler als romantischen Künstler und blättert die vielen Facetten seines Lebens auf unter Verwendungt von Originalzitaten aus Briefen. Sein Leitsatz sei gewesen:'Wir sehnen uns so sehr nach der Freiheit der Bäume'. Dazu schrieb Enjott Schneider eine illustrierende Musik, die von einer Zwölfton-Reihe ausgehend über Volksliedanleihen bis zu Cancan und Polka reicht und 'zwischen der Klangsprache der Avantgarde und der Schlagfertigkeit der Operette angesiedelt' ist....Die Überraschung der Aufführung sind die Sänger, fast alles Anfänger im ersten Bühnenjahr. Vorzüglich mkit schönem Bariton Shin Tanagucchi in der Titelrolle und Mi-Seon Kim als seine schwarze Geliebte. (Werner Schulze-Reimpell)

Sächsische Zeitung (2.5.2006): Zum heiteren Finale erscheinen der Fürst, machbuba und Lucie wieder auf den Rängen. Hierin liegt dann wohl auch die Grundaussage der Oper: Pückler ist nicht tot. In seinen Werken lebt er weiter und fasziniert bis heute mit seiner schillernden Persönlichkeit. (Dorit Kreller)

Tonträger:  privat,  2008

Tonträger Interpreten: Ein privater DVD-Mitschnitt durch Z-Art München mit drei Kameras ist als Dokumentation über Enjott Schneider erhältlich. Eine Kurzfassung ist auf youtube zu finden.