Kategorie: Symphonie / Orchester , Kammermusik , Recordings
Neben der magischen symphonischen Dichtung LILITH - über die "Urfrau" von Bibel und Mythologie - finden sich hier Werke von Enjott Schneider für Violoncello und Orchester, gespielt von dem einzigartigen LÁSZLÓ FENYÖ, der ungefilterte Emotionalität mit stupender Technik und musikalischer Intelligenz zu verbinden weiß: das große Cellokonzert DUGUD steht gleichberechtigt neben den eher kammermusikalischen Werken wie SULAMITH oder die rätselhaften Gesualdo-Variationen FATAL HARMONIES (...tödliche Harmonien).
Sätze: fatal harmonies – works for cello & orchestra
László Fenyö, cello
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin / Ariel Zuckermann, conductor
Konzert Nr. 1 DUGUD für Violoncello & Orchester
1 Satz 1 Emeshes Traum / Emeshes Dream
2 Satz 2 Geister der ungeborenen Kinder / Ghosts of unborn childs
3 Satz 3 Visionen
SULAMITH Danses sacrées für Violoncello und Streicher
4 I: „Schwarz bin ich, doch schön“
5 II: Der Reigen zu Mahanaim
6 III: Stark wie der Tod ist die Liebe
FATAL HARMONIES OF BLACK SWEETNESS.
Variations on Gesualdos „Moro lasso al mio duolo“
7 I: Prologo ...armonie mortali
8 II: Cantilena: La belezza die Maria d’Avalos
9 III: Ballo Mortale (I)
10 IV: Ricercare
11 V: Ballo Mortale (II)
12 VI: Passacaglia della Morte ...morire d’asifissia su un’altalena
13 ABADDON – ANGEL OF ABYSS. Apocalyptic scene for violoncello & orchestra
14 LILITH. SYMPHONIC POEM for orchestra
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Tonaufnahme vom 1.-5. März 2016 Teldex Tonstudio Berlin
Tontechnik: PEGASUS MUSIKPRODUKTION Florian B. Schmidt & Aki Matusch
Notenausgaben: 1-6 und 13 Schott-Music Mainz / 7-12 Strube-Verlag München / 14 Ries & Erler Musikverlag Berlin
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Vorwort: Enjott Schneider:
Zwischen der Magie des Schönen Tons und virtuoser Klangzauberei
Aus dem Geiste der Oper wurde im 17. Jahrhundert ein Musikinstrument erschaffen, das dem Klangideal des Belcanto-Tenors verpflichtet war und ausdrücklich für den solistischen Ausdruck (noch nicht für eine Verwendung im Ensemble) bestimmt war: das Violoncello. Vor genau 350 wurde es 1665 in den „Sonate a due e a tre“ op. 4 des Giulio Ceasre Arresti als Soloinstrument erwähnt. Seitdem fasziniert es Zuhörer, Musiker und eben – so wie mich - auch Komponisten: es eignet sich mehr als jedes andere Musikinstrument zur Darstellung virtuoser Klangtechnik wie zum intensiven „Singen“ von melischer Linien. Die timbrale Nähe zur männlichen Tenorstimme ist unüberhörbar und führt zur melodischen Intensität ohnegleichen. Wenn dann noch ein Solist vom Format eines László Fenyö auf den Plan tritt, dann ist das Fest einer sinnlichen Explosion sozusagen garantiert.
Zu den Werken:
Das Cellokonzert DUGUD ist für den Widmungsträger László Fenyö komponiert und wurde 2011 bei der Cello-Akademie Rutesheim von ihm und der Württembergischen Philharmonie Reutlingen (Ltg.: Christoph Adt) uraufgeführt. „DUGUD“ ist der sumerische Name eines alten orientalischen Vogelgottes aus Adler und Falke. Als sumerischer Anzu oder Im-Dugud wurde er auch mit Löwenkopf dargestellt. In der Türkei ist er als „Togrul“, in Ungarn als „Turul“ bekannt. Er sitzt auf dem Lebensbaum über den Geistern ungeborener Kinder, die ebenfalls Vogelgestalt haben. Der Sage nach ist Emeshe von diesem Vogel im Traum geschwängert worden und hat mit ihrem so gezeugten Sohn Álmos den Urahn der ungarischen Könige gestellt. Das Konzert für Violoncello greift in archaischen Szenarien einige der Sagenbilder auf: den dunkel-erotischen Befruchtungskampf, den entmaterialisierten Gesang der Ungeborenen, die Vision eines Lebens in Adler-Freiheit.
SULAMITH. DANSES SACRÉES wurde ebenfalls vom Widmungsträger László Fenyö mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester (Ltg.: Johannes Klumpp) im Rahmen der Cello-Akademie Rutesheim 2014 uraufgeführt. Das an Sulamith gerichtete und Salomo zugeschriebene “Hohelied der Liebe”, auch “Lied der Lieder” genannt, gehört zu den geheimnisvollsten Texten der Bibel. Ist die Figur des Salomo selbst schon rätselhaft, so ist die Figur der “Braut” noch rätselhafter. Augustinus und viele andere Exegeten sahen in diesem glühenden Feuerwerk der Sinne eine Allegorie der mystischen Vereinigung der Seele mit Gott, andere erkannten arabische Hochzeitsriten oder kultmythologisch die Verbindung der alten Vegetationsgottheiten Ischtar und Tammuz. Das Johannesevangelium zieht viele Parallelen zur Auferstehung, als Maria Magdalena vom ‘Gärtner’, der Jesus selber war, mit “Maria!” angesprochen wurde, erzählt der Evangelist “Die wendet sich um”. Der paradiesische Garten, in dem Sulamith ihre unendliche Schönheit zeigt, verweist so auf Jesus und letztendlich auf den Garten des Paradieses: ‘Garten’ ist eine durchgängige Metapher der Bibel. Eine der modernsten Deutungen gab Paul Celan in seinem 1944 in Czernowitz verfassten Gedicht “Todesfuge”, worin Sulamith die Ur-Rolle des jüdischen Opfers verkörpert. All diese geheimnisvollen Facetten gehen in die Form des “Danse sacrée” ein, wo die Körperlichkeit des Tanzen einem existentiellen Inhalt anscheinend widersprüchlich begegnet.
FATAL HARMONIES OF BLACK SWEETNESS ist dem Cellisten Julius Berger gewidmet und wurde von ihm am Palmsonntag 2015 in Herrsching am Ammersee mit dem Collegium Bratananium (Ltg.: Johannes X. Schachtner) uraufgeführt. - Carlo Gesualdo (1560-1613) ist eine der kühnsten wie rätselhaftesten Komponistenfiguren. Seine Madrigalkunst weist harmonisch weit in Wagnersche Zeiten vor und ist für seine Epoche beispiellos. Hintergrund des „Todes“ und „Schmerzes“ als permanentes Motiv des Komponierens ist seine Ermordung der eigenen bildschönen Ehefrau Maria d’Avalos, wonach er in Depression und Isolation verfiel... und eben eine Radikalität des Tonsatzes etablierte, die nur vor diesem Hintergrund verständlich ist.
Die vorliegende Komposition greift die dunkle Süße auf, die Gesualdos Madrigalkunst beherrscht und die in keinem seiner Madrigale so auf den Punkt gebracht ist wie in Moro, lasso, al mio duolo aus seinem Todesjahr 1613 (aus dem 6. Madrigalbuch). Die plakativen Akkordfolgen Cis-Dur / a-moll / H-Dur/ G-Dur werden leitmotivisch aufgegriffen und in Nr. 1 PROLOG vorgestellt. In Nr. 6 PASSACAGLIA DELLA MORTE werden sie zu einer achttaktigen Passacaglia-Folge ergänzt. Diese Schlußmusik nimmt in ihrem Wanken, Gleiten und Glissandieren auch Bezug auf die überlieferte grausame Ermordung seines Kindes: in einer Schaukel im Hof des Schlosses festgezurrt wurde es mit Chor-Harmonien über Tage beschallt... bis es starb.
Bei ABADDON – ENGEL DES ABGRUNDS – wiederum László Fenyö sozusagen auf den Leib komponiert - wird auf der vorliegenden CD die umfangreichste Besetzung (verbunden mit regelrechter Orchestervirtuosität) verlangt. - „Abaddon“ ist im biblischen Kontext eine rätselhafte Kreatur, die auch im Bereich der Heavy Metal Music und der Illustratoren von Phantasy-Literatur schon extrem inspirierte und zu archaisch-magischen Ausdruckswelten führte. Das Wort ist eine Zusammensetzung des griechischen „abaton“ (Grube) und des hebräischen „abad“ (Vertilgung, Untergang, Abgrund). Man findet es im Alten Testament (Buch Hiob und in den Psalmen 28,22 sowie 88,11) im Zusammenhang mit dem Totenreich „Scheol“. Im Neuen Testament ist mit „Abaddon“ vor allem im 9. Kapitel der Apokalypse der „Engel des Abgrund“ bezeichnet, dem ein Schreckensszenario zugeordnet ist: ...er tat den Brunnen des Abgrunds auf, und es ging auf ein Rauch aus dem Brunnen....und aus dem Rauch kamen Heuschrecken auf die Erde; und ihnen ward Macht gegeben, wie die Skorpione auf Erden Macht haben.... Und es ward ihnen gegeben, daß sie nicht töteten, sondern sie quälten fünf Monate lang.... und in den tagen werden die Menschen den Tod suchen, und nicht finden; werden begehren zu sterben, und der Tod wird vor ihnen fliehen...und ihre Zähne waren wie die der Löwen; und hatten Panzer wie eiserne Panzer, und das Rasseln ihrer Flügel wie das Rasseln an den Wagen vieler Rosse, die in den Krieg laufen; und hatten Schwänze gleich den Skorpionen... Und hatten über sich einen König, den Engel des Abgrunds, des Name heißt auf hebräisch Abaddon.
Die Rezeption dieser surrealen Bibelstelle hat zu heterogenen Interpretationen geführt. Okkultisten sahen in Abaddon einen mächtigen Dämon oder den Satan selber. Andere sahen in ihm den Erzengel Michael, den Drachenbezwinger. Wieder andere sahen in ihm Jesus, weil im 20. Kapitel der Apokalypse schließlich von einem Engel gesprochen wird, der den Schlüssel zum Abgrund hat und den Satan in diesen hineinwirft.
LILITH. SYMPHONIC POEM ist ein Kompositionsauftrag von „Yehudi Menuhin, LIVE MUSIC NOW e.V. Augsburg“ und ist „Dem Andenken Yehudi Menuhins zu seinem 100. Geburtstag gewidmet“. Die Uraufführung erfolgte am 1. Mai 2016 in der Synagoge Augsburg mit dem Leopold-Mozart-Symphonieorchester der Augsburger Universität (Tlg.: Ludwig Schmalhofer). - Lilith ist eine auf die Sumerer zurückgehende und im ganzen Orient verbreitete Frauenfigur, Dämonin, auch als erste Frau Adams interpretiert. Man könnte sie musikalisch als Phantasiewesen, sehr anziehende und rätselhafte Frau „malen“….. fast eine Art Scheherazade. Ihren Ursprung hat Lilith in der babylonischen Mythologie als „Windgeist“, Nachtgespenst“, „Nachtschwalbe“. Die einzige Erwähnung der Lilith in der Bibel erfolgt bei Jesaja 34,14: ‚Es werden Wildkatzen auf Schakale treffen, ein ziegenbehaarter Dämon wird seine Gefährten rufen und dort wird auch die Lilith verweilen und ihre Behausung finden’. In dem patriarchalisch ausgerichteten Juden- und Christentum wird Lilith deshalb so wenig wertgeschätzt, weil sie immer auch als Symbol für weibliche Emanzipation und Gleichberechtigung galt. Sie verkörpert in einem archaischen Sinn die mächtige dunkle Seite der Frau, die wie viele archaische Göttinnen gleichzeitig Lebensspenderin und Todbringerin waren.
Tonträger: WERGO WER 5116-2 LC00846, 2016
Tonträger Interpreten: László Fenyö, cello
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin / Ariel Zuckermann, conductor
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