Kategorie:  Symphonie / Orchester

Ein so lyrisches wie virtuoses Violinkonzert zu einer spirituellen Thematik: So wie nach Hildegard von Bingens Vision die Augen das Fenster zur Seele sind, so sind bei der Erde die dunkelblauen Seen die Fenster zur Urschwingung unseres Planeten. Ein Violinkonzert, das virtuose Gestik mit der Emotionalität epischer Themen verbindet und so eine alpine Landschaft der Seen dem Hörer nahebringt.

Sätze: I: Königsee
II: Mondsee
III: Lago Di Garda

Dauer: 22 Minuten

Notenausgabe: Ries & Erler Berlin , Klavierauszug sowie Orchesterpartitur und Stimmen , 2015

Besetzung: Solovioline
2 Flöten
Englischhorn
Klarinette
Bassklarinette
Fagott
3 Hörner (F)
Pauke
Schlagzeug (große Trommel, Vibraphon, Triangel, Becken, Tamtam)
Großes Streichorchester

Soloinstrumente: Violine

Vorwort: Essay des Komponisten:

Der Titel des Violinkonzerts geht zurück auf einen Satz des amerikanischen Philosophen Henry David Thoreau (1817-1862) aus seinem Hauptwerk Walden oder Leben in den Wäldern: Ein See ist der schönste und ausdrucksvollste Zug einer Landschaft. Er ist das Auge der Erde. Wer hineinblickt, ermisst an ihm die Tiefe seiner eigenen Natur. So wie das menschliche Auge der eigentliche Zugang zu seiner Seele ist, so darf man – Thoreau folgend – die Seen als Zugang zur Seele unseres Planeten sehen. In seinem Buch beschreibt Henry David Thoreau die Erfahrungen die er machte, als er am Walden-See in Massachusetts sich eine Blockhütte baute und dort als Einsiedler lebte, - als unangepasster und oppositioneller „Naturapostel“, dessen Denken und Handeln von bestürzender Kongruenz war. Hermann Hesse sagte über Walden: Die amerikanische Literatur, so kühn und großartig sie ist, hat kein schöneres und tieferes Buch aufzuweisen.

Königssee, Mondsee und Lago di Garda stehen in diesem Thoreauschen Sinne für individuelle Kräfte und Energien. Vor allem in den Sagen, Mythen und Märchen rund um die drei Seen offenbart sich deren „Seelenleben der Erde“.

I: KÖNIGSSEE
Er ist in Mitteleuropa mit seinem fjordartigen Charakter und seiner Unzugänglichkeit einzigartig - bis an die Wasserkante umgeben von Bergmauern, die 2100 Meter über die Seefläche ragen und senkrechte Wandhöhen bis zu 1800 Metern aufweisen. Sein siebenfaches Echo ist legendär. Wilhelm Goldbaum erfasste in einem Essay der Gartenlaube (1885) die Eigenschaften dieses wahrlich majestätischen Sees: Der Königssee steht im Verrufe einer furchtbaren Ernsthaftigkeit, weil nicht lachende Ufer ihn umsäumen, sondern nacktes Gestein und kühle Waldeinsamkeit und er hebt den Obersee hervor, an dessen anderem Ende die Welt vor dir verbarrikadiert ist...erschreckende Stille, grandioses Schweigen. Und er betont die ausgesprochene Individualität, die zugleich seinen vornehmsten Reiz bildet; daß er nur einen einzigen Zugang besitzt und, wo er aufhört, kein Reiseziel, keine Ausfahrt in die Welt bietet... Er ist im wahrsten Sinne ein stolzer See. Um den beachtliche 190 Meter tiefen Königssee ranken sich Geschichten und Sagen, - meist schauriger Art: bei der „Almer Wallfahrt“, der ältesten und seit 1635 nachweisbaren Gebirgswallfahrt Europas, wo über das „Steinerne Meer“ hinunter zum See gepilgert wird, ertranken am 23.8.1688 siebzig Menschen bei Gewitter. In neuerer Zeit ist vom 28.1.1964 ein Unfall dokumentiert, bei dem ein VW-Käfer versank, 1997 vom U-Boot Jago in 120 Meter Tiefe (samt Fahrer) fotografiert, aber seitdem nie geborgen wurde. Unter den Sagen ist insbesonders die vom König Watze oder König Watzmann mehrfach belegt: als menschenverachtender Wüterich wurde er von Gott unter Felsen begraben und wurde so zum Watzmann, seine Frau zur starren Zacke daneben, seine sieben Kinder zu Felszinken. Noch heute spricht man vom Watzmann-Massiv als Familie. Und der Königssee entstand mythisch als Sammelbecken des Blutes dieser grausamen Herrscher. Die Alpe, wo König Watzes Hunde in die Tiefe stürzten, nennt sich noch heute der Hundstod.
Selbst der Klang der Violine ist in der Sagenwelt belegt: die steil abfallende Felswand gegenüber der Schiffsanlegestelle Kessel wird noch heute Geigerwand genannt, weil hier in Vollmondnächten ein seltsamer Riese am Abgrund gesehen wurde, der eigenartige traurige Weisen spielte, die 20 Kilometer weit bis Salzburg zu hören waren. Dabei sprang er – ohne den Bogen abzusetzen – von Fels zu Fels, um stets unauffindbar zu verschwinden. Diese seltsamen Melodien werden in den Sage auch dem Jaulen der verunglückten Hunde des Watze zugeordnet. Wetterkundige Kenner der Gegend führen sie auf den glissandierenden und pfeifenden Wind der Föhnstürme zurück, der noch heute Felsspalten und Felsschroffen zum unheimlichen Klingen bringt.

II: MONDSEE
In dem für seine Kraft- und Glücksorte bekannten Salzkammergut nimmt der ebenfalls sagenumwobene Mondsee mit seiner markanten Sichelform und elf Kilometer Länge eine besondere Stellung ein. Die zentrale Sage berichtet ebenfalls von einem grausamen Herrscher, der sein Dorf und dessen Bauern tyrannisierte. Im Traum von der Muttergottes gewarnt, flüchteten die Bewohner, während im göttlichen Strafgericht mit Blitz, Feuer und Gewitterfluten der Tyrann mitsamt dem Dorf in den Fluten verschwand. Die Spitze des Kirchturms sei in dem dunkelgrünen Wasser bei klarer See immer wieder gesehen worden. Grundlage dieser Sage kann die Tatsache sein, daß man 1864 unter der Wasseroberfläche deutlich Pfähle erkennen konnte, die inzwischen als Reste von Pfahlbauten der Jungsteinzeit (mit vielen archäologischen Fundstücken einer eigenständigen Mondseekultur) identifiziert wurden. 2011 wurden die mysteriösen Pfahlbauten im Mondsee in das UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen.
In weiteren Sagen wird von den Untersberg-Gnomen berichtet, die in unterirdischen Gängen zur alten Abtei gelangten und dort geheimnisvolle Messen feierten. Der „Teufel“ ist oft wiederkehrendes Motiv, sei es bei der „Wilden Jagd“ in den Lüften zur Zeit der Rauhnächte, sei es bei dem Teufelsmühle genannten Haus an der alten Strasse von Mondsee nach Thalgau, sei es in der Sage vom Drachenloch: In der markanten und 1176 Meter hohen Drachenwand, die am Südwestufer des Sees emporragt, gibt es in der Klausbachhöhle die Drachenhalle, nördlich davon liegt das Nixloch und unterhalb des Grates das Drachenloch, - das ein kultisch verehrtes Sonnenloch ist, das in der schattigen Landschaft bisweilen eine kreisförmige Lichtspur zeichnet. Das Drachenloch wird mythologisch dem Teufel zugeschrieben, der es beim Bestrafen einer diebischen Köchin in den Berg gerissen hat. Das Violinkonzert greift jedoch weniger die makabren Teufelsmotive auf, als vielmehr den Mythos des Mondlichts und des dunklen Wassers, die sich in dieser Gegend geheimnisvoll und leise zu vermählen wissen.

III. LAGO DI GARDA
Hier kann das Violinkonzert seelische Energien aufgreifen, die weit freundlicher sind, - sonnig, schon mediterran, eher von Nixen und Nymphen als von Dämonen geprägt. Der Gardasee, dessen vom Wassergott „Benacus“ stammende Name in der Antike Lacus Benacus war, ist mit seiner Länge von 52 Kilometern der größte See Italiens. Der nördliche Teil ist geprägt von den Zweitausendern der Gardasee-Berge; im südlichen Teil liegen schon die Weinanbaugebiete des Bardolino, Soave und Valpolicella. Die Legende berichtet hier von Benaco, der einst das Meer verließ und sich in der Bergwelt des Monte Baldo in die blauhaarige Bergnymphe Engadina verliebte, die mit Zwergen in einem kleinen Bergsee lebte. Er entführte sie und versprach ihr, einen größeren See zu schenken. In diesem See, den sie mit dem tiefen Blau ihrer Haare färbte, liebten sie sich. Das Kind, das dieser Liebe entsprang, nannten sie „Garda“, - was dem See daraufhin den Namen gab. Bei der Punta San Vigilio, einer der schönsten Plätze des Sees, gibt es um den scoglio della Stella“ (Sternfels) die Legende der unerwiderten Liebe zwischen dem jungen Vergil und der Nymphe Stella. Die Erzählung zum Ursprung des Namens Limone sul Garda nimmt Bezug auf die Nymphe Phillis. Natürlich gibt es in der Sagenwelt rund um den Lago di Garda auch die Motive vom Pakt mit dem Teufel, von lebendig eingekerkerten Frauen, Berichte von schaurigen Unfällen. Hartnäckig halten sich bis in die Neuzeit Gerüchte von immer wieder gesichteten Seeungeheuern ähnlich dem im schottischen Loch Ness. – Der dritte Satz des Violinkonzerts ist in Rondoform gehalten, wobei wiederkehrendes Ritornell die heiter-feminine Stimmung der Welt der Wassernymphen mit Lebenslust und Tanz ist. Lediglich in den Zwischensätzen schimmert noch jene dunkel-unheimliche Farbe durch, die für die mysteriöse Welt der Seen als „Augen der Erde“ im Eigentlichen typisch ist: unfassbar, von fernen Zeiten kündend, in die Tiefe führend, - eben in die „Seele der Erde“.

Widmung: Ingolf Turban in Freundschaft gewidmet

Anmerkungen: Kompositionsauftrag der Philharmonie Bad Reichenhall

Uraufführung:  24.04.2015, Theater Bad Reichenhall

Uraufführung Interpreten: 24. April 2015 Theater Bad Reichenhall mit Ingolf Turban (Violine), Philharmonie Bad Reichenhall, Ltg.: Hansjörg Albrecht. Zweite Aufführung am 25.4. in Traunstein

Tonträger:  WERGO SEELENGEMÄLDE - SOULPAINTINGS,  2015

Tonträger Interpreten: Orchesteraufnahme am 28.Mai 2015 mit Ingolf Turban (Violine), Deutsches Symphonieorchester Berlin DSO, Leitung Wolfgang Lischke