Kategorie: Kammermusik
Sätze: ? Galopp 1: Der Vorstadt-Hypochonder
? Der Wuhwuh kommt...
? Galopp 2: Revolutionszwetschgen
? Kurzer Rede langer Sinn...
? Galopp 3: Tingel-Tangel
Dauer: 19 Minuten
Notenausgabe: Schott Music , ED 20661 , 2009
Besetzung: Trompete (B), Tenorposaune, Klavier
Soloinstrumente: Klavier, Posaune, Trompete (B)
Vorwort: Eine Hommage an Karl Valentin (1882-1948), dessen Linksdenken, bizarre Logik, Wortakrobatik, eskalierende Verhinderungen und destruktives Spiel mit Mißverständnissen auf musikalisches Material übertragen werden: ?Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz? (Bert Brecht). Dieses scheinbar Komische ist jedoch von Melancholie und Trauer eines zerbrechlichen Genies umflort, das zeitlebens von abgrundtiefer Angst und Zwangsvorstellungen geplagt wurde.
Widmung: Für Hannes Läubin und unsere über 30jährige musikalische Freundschaft
Anmerkungen: Anmerkungen zur Interpretation:
Satz 1: GALOPP 1: Der Vorstadt-Hypochonder nimmt Bezug auf Karl Valentins Lebensangst, seine Furcht vor Reisen. ?Vielleicht würden die Leute weniger über mich lachen, wenn sie wüssten, wie mies ich meist beieinander bin!? Es beginnt mit einem trivialen Posaunensolo (sehr gefühlvoll zu spielen) gemäß einer Regieanweisung eines Theaterstückes von ihm: ?Vortragender bläst ein Lied auf der Posaune, bis zum vorletzten Ton!? Bei ?Vivo: Kläglich? bricht das Posaunensolo daher ab und wird von einem jammernden Tremolo abgelöst. Prinzipiell wir in diesem Satz dann meist mit Dämpfer gespielt, kläglich, jämmerlich, dem Weinen nahe. Der ?Galopp? ist dann strikt und wild im Tempo Viertel = 180 zu spielen. Ausklang wieder mit dem trivialen Posaunensolo.
Satz 2: Der Wuhwuh kommt nimmt Bezug auf ein ?Spielchen? von Karl Valentins Mutter: Um ihn zu bestrafen, bekam er als kleines Kind einen Eimer über den Kopf gestülpt, worauf getrommelt und gelärmt wurde, so dass er im Dunkeln darin Höllenangst bekam. Seine grundsätzliche Lebensangst ist vielleicht auf dieses Relikt der Jugend zurückzuführen. Musikalisch ist es eine freie Chaconne über eine Reihen-Melodie (die auch als Umkehrung oder Krebs erscheint). Im Teil ?Strano? bricht völlig das Fremde und Abnorme ein. In seiner Selbstbiographie von 1926 schreibt Valentin ?Ich erlernte im Alter von zwölf Jahren die Abnormität?. Deshalb kann die Tonfindung, wenn sie Freiraum lässt, hier sehr grotesk, fremd und ? eben ? abnorm sein. Dazu gehört bei der Trompete vor allem das ?Wimmern?: mit halbgedrückten Ventilen entsteht gar kein richtiger Ton, sondern nur ein klägliches leises Wimmern. Ebenso gehören dazu unmerkliche Glissandi, das Spielen nur auf dem Mundstück ohne Instrument, das Zischeln ins Instrument, das Klopfen auf Mundstück 8das im Instrument normal angebracht ist) und ploppende Laute erzeugt.
Satz 3: Galopp 2: Revolutionszwetschgen ist thematisch mit dem ersten Galopp verwandt und soll hier strikt mit Tempo Viertel = 180 durchgespielt werden. Unbremsbar! Das Wort ?Revolutionszwetschgen? ist eine typische Sprachverdrehung von Karl Valentin und Liesl Karlstadt, die sich ja als ?Wortsteller? sahen und systematisch Sprach- und Gesprächssabotage betrieben. Das absurde ?Revolutionszwetschgen? nimmt Bezug auf die Revolution von 1918, wo alles dem untergeordnet wurde.... eben komischerweise die Zwetschgen.... obwohl das Obst dafür ja gar nichts kann!
Satz 4: Kurzer Rede langer Sinn ist wiederum ein Ausspruch Valentins, der von seiner Sprachsabotage zeugt. Die einleitende ?kurze Rede? ist ein wildes Repetieren mit einem metrischen Gerüst von 5+7+7+8 Achteln, das mit Akzenten stark hervorzuheben ist. Wie ein Berserker spielen, anarchisch, chaotisch, verstörend.
Daraufhin setzt ein Viervierteltakt ein mit einem glockenartigen leisen Schwingen von ganzen Noten. Strikt im Tempo Viertel = 55. Wie ein Hypnotiseur mit dem Pendel, so muß das Trio durch die starre Zeitgestaltung das Publikum in eine andere Welt versetzen. Die Vielzahl ungewohnter Klänge und Spielweisen tun dann in Übriges.
Satz 5: TingelTangel nimmt thematisch Bezug auf die Spielhallen, die Varietés, die Singhallen... in denen Valentin gerne auftrat und die seine Heimat als ?Volkssänger? waren. Musikalisch wiederum ein Galopp (motivisch jedoch nicht mit Galopp 1 und 2 verwandt) entsteht ein heiterer Kehraus. Die Akkordschläge des Klaviers am Ende ? ad libitum unterstützt von einem anarchischen Schlagen auf Holz der beiden Bläser ? soll noch einmal bitterböse klingen!
Uraufführung: 12.06.2008, Residenz München, Max Joseph-Saal
Uraufführung Interpreten: 1. Kammerkonzert des Bayerischen Rundfunks
Hannes Läubin / Trompete
Hansjörg Profanter /Posaune
Lukas Maria Kuen / Klavier
Uraufführung Presseberichte: 9.12.2008 Süddeutsche Zeitung
SOLISTEN DES BAYERISCHEN SYMPHONIEORCHESTERS
Diese Uraufführung treibt die Klangsprache des 1. Kammerkonzerts der Solisten des BR-Symphonieorchesters im Max Joseph-Saal konsequent auf die Spitze: Hemmungslos läßt Komponist Enjott Schneider in den fünf Momentaufnahmen seiner 'Valentiniade' für Trompete, Posaune und Klavier die Ausdruckspektren der Blasinstrumente erforschen. Da treiben sich Tropmpeter Hannes Läubin und Posaunist Hansjörg Profanter im 'Galopp 1: Der Vorstadt-Hypochonder' in halsbrecherischen Imitationen voran, verharren in 'Der Wuwuh kommt' in der wimmernden Klage der ohne Instrument geblasenen Mundstücke, während Pianist Lukas Maria Kuen düstere Konturen vorzeichnet. So entstehen bewegende Charalterbilder Karl Valentins: fröhlich befreit einerseits, schaurig andererseits, von skurriler Komik.
Es ist bemerkenswert, mit welcher Präzision die Musiker dabei die nuancierten Stilmittel anwenden (Andreas Pernpeintner).